Digitale Gesundheit: Wie die Schweiz den Anschluss verliert

Die Digitalisierung hat das Gesundheitswesen in Skandinavien revolutioniert, während die Schweiz noch hinterherhinkt. Welche Vorteile bieten digitale Lösungen für die Bevölkerung und wie kann die Schweiz ihren Rückstand aufholen?

Die Digitalisierung hat das Potenzial, unser Gesundheitswesen grundlegend zu verändern. Sie verbessert die Effizienz, senkt die Kosten und erhöht die Qualität der Patientenversorgung. Während Länder wie Dänemark und Finnland als Vorreiter in Sachen E-Health gelten und bereits in den Nullerjahren digitale Gesundheitsplattformen eingeführt haben, kämpft die Schweiz weiterhin mit der Umsetzung und der Akzeptanz des elektronischen Patientendossiers (EPD). Die Nutzungszahlen in der Bevölkerung zeigen diesen Unterschied auf frappierende Weise auf: Während in Dänemark rund 90 Prozent1 und in Finnland immerhin 65 Prozent2 der Erwachsenen ein elektronisches Patientendossier haben, sind es in der Schweiz gerade einmal 0,9 Prozent3

Die nordischen Länder – Leuchtfeuer der Digitalisierung

Dänemark hat sich in den letzten Jahren als Vorreiter in der Digitalisierung im Gesundheitswesen etabliert4. Ein wesentlicher Baustein dieses Erfolgs ist das nationale Patientenportal «Sundhed.dk». Über diese Plattform haben die Bürger:innen jederzeit Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten, können Termine vereinbaren, Rezepte erneuern und in Apotheken einlösen, Impfungen und Medikationen dokumentieren und mit ihren Ärzt:innen kommunizieren. Das Portal wird von der Bevölkerung rege genutzt – ein klares Zeichen für das Vertrauen in digitale Gesundheitslösungen und die selbstverständliche Integration in den Alltag. Krebspatient:innen können zum Beispiel sogar ihre Chemotherapie von zu Hause aus managen – eine Option, die als «ambulante Chemo» bekannt ist. Das reduziert die Belastung des Gesundheitssystems und die Betroffenen können schneller in ihren Alltag zurückkehren.Die Nutzung des elektronischen Patientendossiers ist in Dänemark für alle medizinischen Einrichtungen und das Gesundheitspersonal Pflicht. Sämtliche Gesundheitsdaten werden zentral erfasst, aktualisiert und sind für die Behandelnden jederzeit zugänglich. Eine Hausärztin in Kopenhagen kann also sofort sehen, welche Behandlungen ein Patient in Aarhus erhalten hat. Röntgenbilder, Testergebnisse, Verschreibungen, Allergien – alles liegt transparent, einheitlich und gut zugänglich vor. Damit das so einfach möglich ist, hat Dänemark stark in die Modernisierung und die Digitalisierung seiner Spitäler investiert. Im Rahmen der «Super-Hospital»-Strategie wurden die Krankenhäuser so gebaut oder renoviert, dass überall digitale Schnittstellen vorhanden sind, die alle administrativen Prozesse effizient gestalten und Daten nahtlos integrieren. Die Datenerfassung erfolgt nach internationalen medizinischen Standards.Auch Gesundheitsdaten wie Gewicht, Grösse, Herzfrequenz, Blutdruck oder Blutzucker können in der Patientenakte gespeichert werden – manuell oder automatisch über medizinische Geräte, die sich mit der Akte verbinden lassen. Dabei ist sichergestellt, dass die Patient:innen jederzeit ihre Einwilligung in die Freigabe ihrer Daten an das medizinische Personal oder die Forschung widerrufen können. 

 Auch Finnland5 hat schon früh die Weichen für eine umfassende Digitalisierung im Gesundheitswesen gestellt. Über das nationale Gesundheitsinformationssystem «Kanta6» können die Bürger:innen ihre vollständige Krankengeschichte einsehen und mit medizinischen Dienstleistern teilen. Das Gesundheitspersonal ist verpflichtet, dieses System zu nutzen. Die hiermit verbundene grosse Verbreitung hat auch für eine hohe Akzeptanz gesorgt. Zusätzlich setzt Finnland auf Telemedizin und mobile Gesundheitsanwendungen, um die medizinische Versorgung auch in abgelegenen Regionen sicherzustellen. Eine Patientin aus Lappland kann beispielsweise ihren Arztbesuch per Video erledigen, ohne eine lange Anreise auf sich nehmen zu müssen. Dies spart Zeit und Kosten und fördert die Prävention und frühzeitige Behandlung von Krankheiten.

Die Schweiz: Digitalisierung in den Kinderschuhen

Die Schweiz ist aktuell noch weit von einer einfachen, standardisierten und digitalen Erfassung der Gesundheitsdaten entfernt. Anders als in Dänemark und Finnland ist hierzulande die Nutzung des elektronischen Patientendossiers für das medizinische Personal in vielen Fällen freiwillig. Viele Arztpraxen und Spitäler scheuen den finanziellen und administrativen Aufwand, den eine Umstellung auf neue Tools und Prozesse mit sich bringt. 

Deshalb verbringen Ärzt:innen einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit mit dem Ausfüllen von Formularen, der Erstellung von Diagnosen und der Codierung von Behandlungen – und das gleich mehrfach, da die Daten oft in mehreren Systemen nachgeführt werden müssen. Ein Schweizer Chirurg, der heute in Dänemark arbeitet, berichtete in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger», dass er in der Schweiz täglich mehrere Stunden mit administrativen Aufgaben verbrachte, die in Dänemark weitgehend automatisiert sind. Ein Entlassungsbericht kann in Dänemark in Minuten erstellt werden, weil alle relevanten Informationen bereits digital vorliegen. In der Schweiz hingegen müssen viele Daten manuell erfasst werden – und oft wird die Dokumentation von Spital zu Spital unterschiedlich gehandhabt. Das BAG empfiehlt zwar, die Daten nach internationalen Standards zu erfassen, Pflicht ist das in der Schweiz allerdings nicht. Und die Gesetzeslage zur anonymisierten Nutzung von Gesundheitsdaten in der Forschung ist hierzulande so kompliziert, dass viele Projekte in den letzten Jahren in die nordischen Länder verlagert wurden. Darunter leidet der Forschungsstandort Schweiz. 

Für die Patient:innen sieht es nicht besser aus: Viele Schweizer:innen haben noch nie vom elektronischen Patientendossier (EPD) gehört oder wissen nicht, welche Vorteile es mit sich bringt7. Ein weiterer Grund dafür, warum nur wenige Menschen das EPD nutzen, ist die wenig benutzerfreundliche Anmeldung. Um ein EPD zu eröffnen, muss man sich über eine der verschiedenen Stammgemeinschaften registrieren. Diese haben unterschiedliche Möglichkeiten, technische Standards und Anforderungen, was den Einstieg erschwert. Das zeigt: Föderalismus und Digitalisierung vertragen sich schlecht. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens kann nur unter Einbezug aller Akteur:innen und mit einem organisatorischen Ansatz gelingen, bei dem der Bund eine führende Rolle einnimmt.Dazu kommt, dass viele Möglichkeiten, die eine elektronische Patientenakte bietet, in der Schweiz (noch) nicht verfügbar sind. So können beispielsweise Rezepte zwar im Dossier abgespeichert werden, Apotheken dürfen sie dort jedoch nicht abrufen. Und die Spitäler legen Behandlungsinformationen zwar elektronisch ab – allerdings als PDF und nicht in einer Form, die sich maschinell einfach auswerten liesse. 

Da es in medizinischen Institutionen oft keine einheitlichen Plattformen für das Datenmanagement gibt, werden auch heute noch Röntgenbilder per Mail verschickt und Rezepte gefaxt. Arzttermine werden telefonisch vereinbart. Telemedizin ist zwar vorhanden, wird aber noch wenig genutzt. Dabei geht es um mehr als nur um die Reduktion von Papier und Doppelspurigkeiten: Es geht um die Gesundheit der Bevölkerung, die Prävention von Krankheiten und die Verlängerung des Lebens. Integrierte, individualisierte und interaktive digitale Lösungen können Patient:innen dabei helfen, gesündere Entscheidungen zu treffen, Krankheiten frühzeitig zu erkennen und die Behandlung von chronisch kranken Patient:innen aus der Ferne zu beobachten; von der Überwachung von Wechselwirkungen von Medikamenten durch KI-Systeme, die das Profil der Patient:innen und ihre Diagnose kennen, bis hin zur Personalisierung von Behandlungsmethoden. Digitalisierung ist kein Selbstzweck – im Endeffekt geht es immer um den Nutzen für die Patient:innen bei gleichzeitiger Senkung der Kosten. 

Neue Weichenstellungen durch den Bundesrat: ein Schritt in die richtige Richtung

Mit dem Beschluss des Bundesrates vom 27. September 2024 wurden bereits einige wichtige Weichenstellungen für die Digitalisierung des Schweizer Gesundheitswesens festgelegt. Die zentrale Bereitstellung der technischen Infrastruktur für das elektronische Patientendossier (EPD) durch den Bund soll künftig die Interoperabilität und den Datenaustausch erheblich verbessern. Zudem soll die Einführung des EPD vereinfacht werden: Alle in der Schweiz wohnhaften Personen sollen automatisch ein EPD erhalten, sofern sie nicht widersprechen (Opt-out-System). Darüber hinaus soll die Nutzung des EPD verpflichtend für alle Gesundheitsdienstleister werden – nicht nur für Spitäler, sondern auch für ambulante Einrichtungen wie Arztpraxen und Apotheken. Diese vom Bundesrat festgelegte Richtung ist entscheidend, um das Potenzial des EPD voll auszuschöpfen und die Digitalisierung des Gesundheitswesens voranzutreiben​. Nun sollen diese in die Botschaft zur EPDG-Revision aufgenommen werden. 

Empfehlungen für die Schweiz

Wichtig, um den Erfolg nachhaltig zu sichern, wären auch diese Schritte:

  1. Um das Vertrauen in digitale Gesundheitslösungen zu stärken, braucht es umfassende Informationskampagnen, bei denen die Vorteile der Digitalisierung und die Sicherheitsaspekte im Zentrum stehen. 

  2. Es sollten klare Standards für die Erfassung der Daten und den Datenaustausch zwischen verschiedenen Systemen festgelegt werden, um die Effizienz zu verbessern und höchste Sicherheitsstandards zu garantieren.

  3. Ein klarer rechtlicher Rahmen, der die Nutzung anonymisierter Daten für die Forschung erlaubt, könnte die Innovationskraft stärken, die Schweiz als Forschungsstandort wieder attraktiver machen und die medizinische Entwicklung vorantreiben. 

  4. Es muss sichergestellt werden, dass nicht nur die technische Plattform des EPD zentralisiert ist, sondern auch die IT-Systeme der Gesundheitsdienstleister entsprechend modernisiert werden, um eine nahtlose Integration zu ermöglichen.

Die Schweiz kann von den Erfahrungen und Best Practices der nordischen Länder lernen und ihren Rückstand bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen aufholen. Es braucht jedoch eine klare Strategie, mutige politische Entscheidungen und die Bereitschaft, in die Zukunft zu investieren, um die Qualität der Gesundheitsversorgung zu sichern und als Forschungsstandort attraktiv zu bleiben.

  1. https://www.eos-intelligence.com/perspectives/technology/denmark-a-trailblazer-in-digital-health-innovation/

  2.  https://www.kanta.fi/en/statistics

  3.  https://www.e-health-suisse.ch/koordination/elektronisches-patientendossier/aktueller-stand

  4.  https://www.eos-intelligence.com / https://dialog.css.ch / https://www.sst.dk

  5. https://www.aerzteblatt.de/archiv/201681/E-Health-Finnland-lebt-die-Digitalisierung

  6. https://www.kanta.fi/en/mykanta

  7. https://www.srf.ch/news/schweiz/infrastruktur-beim-bund-bundesrat-pocht-auf-zentrale-loesung-fuer-e-patientendossier /

    https://www.fhnw.ch/de/die-fhnw/hochschulen/hsw/icc/healthcare/elektronisches-patientendossier/media/dettwiler_marke_2022_wp_elektronisches_patientendossier_wie_die_institutionen_damit_umgehen.pdf

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