Wie die Schweiz bei der Digitalisierung der Gesundheit aufholen kann

Die Digitalisierung birgt enormes Potenzial für das Schweizer Gesundheitswesen – doch politische Hürden bremsen den Fortschritt. Nationalrat Islam Alijaj über Chancen, bessere Zugänglichkeit und notwendige Schritte für ein vernetztes Gesundheitswesen.

Wie wichtig ist das Thema Digitalisierung in der Medizin für Sie persönlich und auf der politischen Ebene?

Für mich persönlich sind Digitalisierung im Allgemeinen und E-Health im Besonderen wichtige Bausteine für die Zugänglichkeit unseres Gesundheitssystems. Beide haben daher für mich eine hohe Relevanz. Auf der politischen Ebene ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens eine zentrale Herausforderung und zugleich eine grosse Chance. Die Schweiz hat eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, doch bei der Digitalisierung haben wir noch viel Potenzial. Dank Digitalisierung könnten das Gesundheitswesen entlastet, die Gesundheitskosten gesenkt und die Lebensqualität der Menschen auf verschiedenen Ebenen nachhaltig verbessert werden. Doch die Umsetzung scheitert vor allem an der Politik. Das Gesundheitssystem ist historisch föderalistisch gewachsen. Die vielen verschiedenen Akteur:innen und ihre Interessen und finanziellen Anreize unterscheiden sich zum Teil stark oder sind sogar widersprüchlich. Dies muss stärker in die nationale Strategie einfliessen, um die Umsetzung zu erleichtern.   

Was kann das Parlament machen?

Das Parlament kann Rahmenbedingungen schaffen, um die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben. Konkret: Es kann Gesetze zur Dateninteroperabilität erlassen, also für den abgestimmten und reibungslosen Austausch von Daten zwischen verschiedenen Systemen. Ausserdem kann das Parlament die Investitionen in die Infrastruktur steuern. Es kann auch Verordnungen und Richtlinien schaffen, um kleinen Arztpraxen den Umstieg zu erleichtern. Denn diese tun sich oft schwer mit der Digitalisierung. Und ja, das kostet natürlich Geld. Aber die Digitalisierung muss als Investition gesehen werden. Dank der Digitalisierung steigt die Behandlungsqualität und gleichzeitig können längerfristig aufwendige und teure bürokratische Prozesse eingespart werden.

Wie beurteilen Sie die Rolle des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) beziehungsweise der Verwaltung in dieser Frage?

Das BAG spielt eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Leitlinien, der Richtlinien und der nationalen Strategien zur Digitalisierung. Es koordiniert zwischen den Kantonen und ist massgeblich an der Förderung und Umsetzung von Initiativen wie dem elektronischen Patientendossier (EPD) beteiligt.

Welche politischen Schritte wären nötig, damit die Schweiz hier aufholt oder gar eine führende Rolle einnimmt?

Die Schweiz braucht eine klare nationale E-Health-Strategie, die alle relevanten Akteur:innen einbezieht. Darin sollten der verbesserte Austausch zwischen den Kantonen, die Stärkung des EPD sowie Anreize für die Digitalisierung in Praxen und Spitälern geregelt werden – selbstverständlich alles unter Berücksichtigung des Datenschutzes.

Wo steht das Parlament in dieser Frage?

Das Parlament hat zwar bereits Gesetze verabschiedet, wie das Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier oder 2018 die Strategie eHealth Schweiz 2.0 für den Zeitraum 2018 bis 2024 – aber es hapert mit der Umsetzung. In der Strategie eHealth wurden Ziele und Massnahmen festgelegt, auf die sich Bund und Kantone geeinigt hatten. Schwerpunkte sind die Verbreitung des EPD und die entsprechende Koordination der dazugehörigen Digitalisierung. Abgelöst wird die Strategie nun durch das Programm DigiSanté. Im Auftrag des Bundesrats formulieren BAG und BFS dieses Projekt bis Ende 2024. Die Umsetzung soll bis Ende 2034 erfolgen. Einige Parlamentarier:innen fordern eine beschleunigte Einführung und klare Vorgaben, während andere zurückhaltender sind. Ich bin zuversichtlich, dass mit der Vorarbeit der Strategie eHealth Schweiz 2.0 und der Weiterführung über DigiSanté einiges erreicht werden kann.

Welche Vorteile hat denn eine stärkere Digitalisierung für Menschen mit Behinderungen? 

Die Digitalisierung bietet enorme Vorteile für Menschen mit Behinderungen, weil sie die Zugänglichkeit zu Informationen und Gesundheitsdiensten vereinfacht. Telemedizin, barrierefreie digitale Schnittstellen und die bessere Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten können die Versorgung von Menschen mit Behinderungen erheblich erleichtern. Das ist ein wichtiger Schritt hin zu einem selbstbestimmten Leben für alle Menschen.

Viele Arztpraxen und Spitäler scheuen den finanziellen und den administrativen Aufwand, den eine Umstellung auf neue Tools und Prozesse mit sich bringt. Könnten langfristig auch die Leistungserbringer Zeit gewinnen?

Digitale Tools können langfristig zu einer Entlastung der Leistungserbringer:innen führen – trotz Investitionen und Verwaltungsaufwand in der Anfangsphase. Patientendaten können effizienter verwaltet und Abrechnungsprozesse vereinfacht werden. Dadurch stehen mehr Ressourcen für die Patientenversorgung zur Verfügung.

Welche Vorteile hat denn eine stärkere Digitalisierung – für das Gesundheitssystem, die Patient:innen und den Forschungsstandort Schweiz?

Eine stärkere Digitalisierung verbessert die Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteur:innen im Gesundheitswesen. Dies führt unter anderem zu weniger Doppeluntersuchungen und einer effizienteren Nutzung der Ressourcen. Die Patient:innen können ihre Behandlungen besser verfolgen und haben einen einfacheren Zugang zu ihren Gesundheitsdaten. Die Forschung profitiert von grossen anonymisierten Datenmengen, die unter Berücksichtigung des Datenschutzes für personalisierte Medizin und Behandlungen genutzt werden können.

Wenn Gesundheitsdaten stärker digitalisiert und geteilt werden: Wie wird sichergestellt, dass die Patient:innen die Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten behalten?

Die Massnahmen zur Gewährleistung des Datenschutzes müssen verstärkt und besser kommuniziert werden. Patient:innen müssen jederzeit die Gewissheit haben, dass sie die Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten haben. Dafür gibt es praktikable Lösungen. Zum Beispiel sollen die Patient:innen niederschwellig der Weitergabe ihrer Daten zustimmen oder diese verweigern können. Transparenz hat dabei Priorität. Nur so können wir eine vertrauensvolle Grundlage schaffen, um die Digitalisierung voranzutreiben.

Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Umsetzung einer nationalen Strategie für das sichere Teilen von Gesundheitsdaten? Kämpfen wir hier mit dem Kantönligeist?

Unser Gesundheitssystem ist bekanntlich stark föderalistisch organisiert und die Kantone sind für viele Aspekte der Gesundheitsversorgung verantwortlich. Die Digitalisierung entfaltet jedoch ihr volles Potenzial nur durch übergreifende Koordination. Deshalb ist es sehr wichtig, digitale Prozesse kantonsübergreifend zu harmonisieren. Leider bremst der Kantönligeist hier noch immer den Fortschritt.

Wie sehen Sie Ihre langfristigen Visionen für die digitale Transformation des Schweizer Gesundheitssystems, und wie können wir diese Ziele erreichen?

Ich sehe die Transformation so: Die Schweiz hat ein vollständig vernetztes, patientenzentriertes Gesundheitssystem, das moderne Technologien nutzt. Gesundheitsdaten werden sicher zwischen allen Akteur:innen geteilt und personalisierte und präventive Massnahmen gefördert. Die Patient:innen können ihre Gesundheitsdaten selbst verwalten und sind so stärker in alle Entscheidungen eingebunden. Diese Vision erfordert allerdings eine bessere Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen, Gemeinden und privaten Leistungserbringern sowie Investitionen in die digitale Infrastruktur.

Zur Person

Islam ist ein engagierter Schweizer Politiker, Unternehmer und Aktivist, der sich besonders für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzt. Seit Oktober 2023 sitzt er für die SP im Nationalrat. Für Islam, der mit einer zerebralen Bewegungsstörung (Zerebralparese) lebt, ist Inklusion ein zentrales Anliegen. Er setzt sich vor allem für Barrierefreiheit, faire Arbeitsbedingungen und eine gerechte Gesundheits- und Sozialpolitik ein. Seine politische Laufbahn begann er im Zürcher Gemeinderat. Islam setzt sich für gesellschaftliche Teilhabe und eine fortschrittliche Inklusionspolitik ein, die allen Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Aufgrund der Zerebralparese hat Islam eine Sprech- und Körperbehinderung und benutzt deshalb einen Rollstuhl.

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